Deine Sprache

Wie kannst du mir deine Geschichten erzählen, wenn du deiner Sprache beraubt wurdest? 400 Jahre lang wurden euch die Worte gestohlen. Bis irgendwann keine mehr übrig waren. Keine Wörter mehr übrig, um eure Geschichten zu erzählen. Wie kann die Sprache der Unterdrücker die Geschichten unserer Vorfahren richtig erzählen? Sie ist hart und klumpig, vermag nicht die grünen Wälder zu beschreiben, in denen du aufgewachsen bist. Nur die Bomben, die jetzt dort vergraben liegen. Wie kann ein solcher Verlust jemals wieder wettgemacht werden? Wie können die Wunden heilen, die Risse, die sich gebildet haben, ohne die Sprache, die sie wieder ausfüllen könnte?

Du wolltest es doch versuchen, versuchen, mir die Geschichten zu erzählen. Weit weg von den Orten, an denen sie sich abgespielt haben. Aber wie kannst du es, wenn wir nicht dieselbe Sprache sprechen? Wie kann ich nach ihnen fragen, nach den Leuten, die vor uns hier waren, wenn ich deine Worte nicht verstehe? Du kannst mir nicht davon erzählen, wie du mit deiner Mutter im Meer geschwommen bist. Kannst mir nicht davon erzählen, wie es war, als sie ging und nie mehr zurückkam. Wie kannst du diesen Schmerz in einer fremden Sprache beschreiben? Welten entfernt. Wer wird sich an sie erinnern, an unsere Vorfahr*innen, wenn wir unsere Geschichten nicht weitererzählen können? Wenn uns die Worte fehlen?

Meine Sprache, diese dir fremde Sprache, ist meine Sprache. Und doch, manchmal fühlt es sich an, als würde mir diese Sprache, dieses Schweizerdeutsch, nicht gehören. Als hätte ich keinen Platz in ihr. So oft erlebe ich, dass ihr sie für euch beansprucht, nicht mit uns teilen wollt. Könnt euch nicht vorstellen, dass wir uns in ihr zuhause fühlen könnten. Ihr seid erstaunt darüber, wie gut wir sie beherrschen. Macht uns Komplimente. Sprecht Englisch mit uns, weil ihr uns vom hohen Ross nicht richtigen hören mögt. Ihr lacht und lacht und lacht. Deshalb könnt ihr uns nicht hören, wenn wir euch unsere Geschichten erzählen wollen.  

Nina Stähli, Studentin, 23 Jahre alt

Wie kannst du mir deine Geschichten erzählen, wenn du deiner Sprache beraubt wurdest? 400 Jahre lang wurden euch die Worte gestohlen. Bis irgendwann keine mehr übrig waren. Keine Wörter mehr übrig, um eure Geschichten zu erzählen. Wie kann die Sprache der Unterdrücker die Geschichten unserer Vorfahren richtig erzählen? Sie ist hart und klumpig, vermag nicht die grünen Wälder zu beschreiben, in denen du aufgewachsen bist. Nur die Bomben, die jetzt dort vergraben liegen. Wie kann ein solcher Verlust jemals wieder wettgemacht werden? Wie können die Wunden heilen, die Risse, die sich gebildet haben, ohne die Sprache, die sie wieder ausfüllen könnte?

Du wolltest es doch versuchen, versuchen, mir die Geschichten zu erzählen. Weit weg von den Orten, an denen sie sich abgespielt haben. Aber wie kannst du es, wenn wir nicht dieselbe Sprache sprechen? Wie kann ich nach ihnen fragen, nach den Leuten, die vor uns hier waren, wenn ich deine Worte nicht verstehe? Du kannst mir nicht davon erzählen, wie du mit deiner Mutter im Meer geschwommen bist. Kannst mir nicht davon erzählen, wie es war, als sie ging und nie mehr zurückkam. Wie kannst du diesen Schmerz in einer fremden Sprache beschreiben? Welten entfernt. Wer wird sich an sie erinnern, an unsere Vorfahr*innen, wenn wir unsere Geschichten nicht weitererzählen können? Wenn uns die Worte fehlen?

Meine Sprache, diese dir fremde Sprache, ist meine Sprache. Und doch, manchmal fühlt es sich an, als würde mir diese Sprache, dieses Schweizerdeutsch, nicht gehören. Als hätte ich keinen Platz in ihr. So oft erlebe ich, dass ihr sie für euch beansprucht, nicht mit uns teilen wollt. Könnt euch nicht vorstellen, dass wir uns in ihr zuhause fühlen könnten. Ihr seid erstaunt darüber, wie gut wir sie beherrschen. Macht uns Komplimente. Sprecht Englisch mit uns, weil ihr uns vom hohen Ross nicht richtigen hören mögt. Ihr lacht und lacht und lacht. Deshalb könnt ihr uns nicht hören, wenn wir euch unsere Geschichten erzählen wollen.  

Nina Stähli, Studentin, 23 Jahre alt

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