Du bist an einer Weiterbildung für Lehrpersonen, die «Rassismuskritisch denken und handeln heisst». Vorne stehen zwei Personen, die sich als Billie und Jamila vom Verein Diversum vorstellen. Du dachtest, dass du hier bist, um rassismuskritisch unterrichten zu lernen, doch die beiden erklären dir, dass es am heutigen Morgen emotional werden könnte. Du wirst gebeten, diese Emotionen erst einmal nur wahrzunehmen und nicht zu bewerten. Du verdrehst die Augen und hast das Gefühl wieder in einer dieser «Gspürsch mi, fühlsch mi»-Veranstaltungen gelandet zu sein. Zuerst werden Begriffe besprochen: Auf dem Flipchart steht: «Schwarz, weiss und PoC». Die Begriffe sind dir einigermassen bekannt, doch du bist trotzdem nicht unglücklich, dass sie noch einmal erklärt werden.Das Blatt des Flipcharts wird anschliessend nach hinten geschlagen. Darunter steht in roten, grossen Buchstaben:
DU BIST RASSISTISCH
Billie und Jamila schauen dich an. Eigentlich schauen sie eher in den Raum, doch es fühlt sich an, als ob sie genau dich anschauen. Vermutlich, weil du dich persönlich angesprochen fühlst.
Du fragst dich, was das soll. Du merkst Wut in dir hochsteigen. Du hast den Impuls, etwas zu sagen, doch Jamila kommt dir zuvor.
«Es kann gut sein, dass dieser Satz Emotionen bei euch auslöst. Vielleicht macht er euch wütend, vielleicht schämt ihr euch. Vielleicht führt er auch zu Unverständnis.»
Du fühlst dich ertappt.
Dir wird gesagt, dass diese Emotionen ganz normal sind. Dass uns beigebracht wurde, dass rassistisch zu sein etwas Böses ist und wir deswegen ein solch heftige Reaktion haben. Billie erklärt, dass auch sie selbst rassistisch sei. Das sei an sich noch nichts Dramatisches, sondern einfach die Folge davon, in einer rassistischen Gesellschaft aufgewachsen zu sein.
Bereits von Kindesbeinen an werden wir mit stereotypisierten Bildern und Geschichten konfrontiert. Diese Bilder prägen unsere Gesellschaft und das Bild, das wir von der Gesellschaft haben, und diese Bilder bringen uns rassistische Denkweisen und Handlungen bei.
Das Problem sei, so Jamila, dass dieses Gefühl, dass bei dir aufgekommen ist, oft verhindere, dass wir über Rassismus sprechen können, weil gleich diese heftige emotionale Reaktion in uns aufkomme.
Jamila nennt dieses Gefühl «White Fragility» oder «Weisse Zerbrechlichkeit». Dies sei der letzte wichtige Begriff, den sie zu Beginn besprechen wolle. Diese Zerbrechlichkeit habe zur Folge, dass Menschen, wenn sie auf Rassismus hingewiesen würden, dies meist weit von sich weisen würden. Weil Sie denken, dass sie sonst als schlechte Menschen bewertet werden würden. Dies verunmögliche es aber, über Rassismus zu sprechen. Es leuchtet dir ein, dass wir etwas nicht überwinden können, wenn wir darüber nicht sprechen können.
Das Gefühl von vorher ist nun zwar noch spürbar, doch es fühlt sich nicht mehr ganz so bitter an. Du siehst dich im Raum um und hast das Gefühl, dass es den anderen Weiterbildungsteilnehmer*innen ähnlich geht wie dir.
Der Morgen ist lang, und dir wird bewusst, wie wenig du eigentlich über Rassismus und dessen Wurzeln, die im Kolonialismus gründen, weisst.
Erst ganz zum Schluss behandelt die Weiterbildung das, was du erwartet hattest, ihr schaut euch Lehrmittel an. Obwohl du die Lehrmittel kennst, kommt es dir vor, als würdest du sie zum ersten Mal sehen. Denn dir wird nun bewusst, dass Schwarze Menschen und People of Color in Lehrmitteln und Büchern oft ausgeklammert werden. Wenn sie doch vorkommen, werden sie auf extrem stereotypisierte Arten dargestellt. Es kommt dir vor, als ob dir eine neue, schärfere Brille aufgesetzt wurde.
Am Ende des Workshops kommen Billie und Jamila noch einmal auf das Flipchart mit der Aufschrift «Du bist rassistisch» zu sprechen und fragen, was das nun bei uns auslöst. Du merkst, dass sich das Gefühl verändert hat.
Eine Teilnehmerin neben dir erklärt, dass sie gelernt habe, dass sie auch rassistisch sein könne, ohne es zu wollen. Sie habe verstanden, dass sie deswegen nicht automatisch ein schlechter Mensch sei.
Billie und Jamila nicken. Jamila erklärt, dass es nicht darum gehe, mit dem Finger auf irgendjemanden zu zeigen, sondern lediglich darum, zu verstehen, dass Rassismus ein System sei. Solange wir diesem ungerechten System nicht aktiv begegnen, sind wir Teil davon. Wenn wir das verstanden haben, können wir unsere Verantwortung wahrnehmen und unseren Beitrag dazu leisten, eine antirassistische Gesellschaft möglich zu machen.
Mani Owzar, Lehrperson
Du bist an einer Weiterbildung für Lehrpersonen, die «Rassismuskritisch denken und handeln heisst». Vorne stehen zwei Personen, die sich als Billie und Jamila vom Verein Diversum vorstellen. Du dachtest, dass du hier bist, um rassismuskritisch unterrichten zu lernen, doch die beiden erklären dir, dass es am heutigen Morgen emotional werden könnte. Du wirst gebeten, diese Emotionen erst einmal nur wahrzunehmen und nicht zu bewerten. Du verdrehst die Augen und hast das Gefühl wieder in einer dieser «Gspürsch mi, fühlsch mi»-Veranstaltungen gelandet zu sein. Zuerst werden Begriffe besprochen: Auf dem Flipchart steht: «Schwarz, weiss und PoC». Die Begriffe sind dir einigermassen bekannt, doch du bist trotzdem nicht unglücklich, dass sie noch einmal erklärt werden.Das Blatt des Flipcharts wird anschliessend nach hinten geschlagen. Darunter steht in roten, grossen Buchstaben:
DU BIST RASSISTISCH
Billie und Jamila schauen dich an. Eigentlich schauen sie eher in den Raum, doch es fühlt sich an, als ob sie genau dich anschauen. Vermutlich, weil du dich persönlich angesprochen fühlst.
Du fragst dich, was das soll. Du merkst Wut in dir hochsteigen. Du hast den Impuls, etwas zu sagen, doch Jamila kommt dir zuvor.
«Es kann gut sein, dass dieser Satz Emotionen bei euch auslöst. Vielleicht macht er euch wütend, vielleicht schämt ihr euch. Vielleicht führt er auch zu Unverständnis.»
Du fühlst dich ertappt.
Dir wird gesagt, dass diese Emotionen ganz normal sind. Dass uns beigebracht wurde, dass rassistisch zu sein etwas Böses ist und wir deswegen ein solch heftige Reaktion haben. Billie erklärt, dass auch sie selbst rassistisch sei. Das sei an sich noch nichts Dramatisches, sondern einfach die Folge davon, in einer rassistischen Gesellschaft aufgewachsen zu sein.
Bereits von Kindesbeinen an werden wir mit stereotypisierten Bildern und Geschichten konfrontiert. Diese Bilder prägen unsere Gesellschaft und das Bild, das wir von der Gesellschaft haben, und diese Bilder bringen uns rassistische Denkweisen und Handlungen bei.
Das Problem sei, so Jamila, dass dieses Gefühl, dass bei dir aufgekommen ist, oft verhindere, dass wir über Rassismus sprechen können, weil gleich diese heftige emotionale Reaktion in uns aufkomme.
Jamila nennt dieses Gefühl «White Fragility» oder «Weisse Zerbrechlichkeit». Dies sei der letzte wichtige Begriff, den sie zu Beginn besprechen wolle. Diese Zerbrechlichkeit habe zur Folge, dass Menschen, wenn sie auf Rassismus hingewiesen würden, dies meist weit von sich weisen würden. Weil Sie denken, dass sie sonst als schlechte Menschen bewertet werden würden. Dies verunmögliche es aber, über Rassismus zu sprechen. Es leuchtet dir ein, dass wir etwas nicht überwinden können, wenn wir darüber nicht sprechen können.
Das Gefühl von vorher ist nun zwar noch spürbar, doch es fühlt sich nicht mehr ganz so bitter an. Du siehst dich im Raum um und hast das Gefühl, dass es den anderen Weiterbildungsteilnehmer*innen ähnlich geht wie dir.
Der Morgen ist lang, und dir wird bewusst, wie wenig du eigentlich über Rassismus und dessen Wurzeln, die im Kolonialismus gründen, weisst.
Erst ganz zum Schluss behandelt die Weiterbildung das, was du erwartet hattest, ihr schaut euch Lehrmittel an. Obwohl du die Lehrmittel kennst, kommt es dir vor, als würdest du sie zum ersten Mal sehen. Denn dir wird nun bewusst, dass Schwarze Menschen und People of Color in Lehrmitteln und Büchern oft ausgeklammert werden. Wenn sie doch vorkommen, werden sie auf extrem stereotypisierte Arten dargestellt. Es kommt dir vor, als ob dir eine neue, schärfere Brille aufgesetzt wurde.
Am Ende des Workshops kommen Billie und Jamila noch einmal auf das Flipchart mit der Aufschrift «Du bist rassistisch» zu sprechen und fragen, was das nun bei uns auslöst. Du merkst, dass sich das Gefühl verändert hat.
Eine Teilnehmerin neben dir erklärt, dass sie gelernt habe, dass sie auch rassistisch sein könne, ohne es zu wollen. Sie habe verstanden, dass sie deswegen nicht automatisch ein schlechter Mensch sei.
Billie und Jamila nicken. Jamila erklärt, dass es nicht darum gehe, mit dem Finger auf irgendjemanden zu zeigen, sondern lediglich darum, zu verstehen, dass Rassismus ein System sei. Solange wir diesem ungerechten System nicht aktiv begegnen, sind wir Teil davon. Wenn wir das verstanden haben, können wir unsere Verantwortung wahrnehmen und unseren Beitrag dazu leisten, eine antirassistische Gesellschaft möglich zu machen.
Mani Owzar, Lehrperson